top of page

Die Ski-Heldin, die keine sein will

Sie ist eine der erfolgreichsten Skifahrerinnen der Geschichte. Und sie steht ihr halbes Leben in der Öffentlichkeit. Wie lange fährt Lara Gut-Behrami noch? Die Skination sollte ihre Geschichte geniessen, solange sie noch nicht zu Ende ist.


Benjamin Steffen über Lara Gut-Behrami


Wolf Fotografie/swiss unihockey)
Nadine Fähndrich



Als Lara Gut-Behrami Ende Oktober 2024 unter Tränen bekannt gab, dass sie auf den Start am Riesenslalom in Sölden verzichte, als sie sagte, sie wäre so gerne gefahren, aber sie fühle sich noch nicht zu 100 Prozent fit – da gab es Leute, die sich fragten, ob es der Anfang vom Ende sei; ob die Skirennfahrerin nie mehr an einen Wettkampf zurückkehre.


Und da zeigte sich so sehr, wie Lara Gut-Behrami in der Öffentlichkeit teilweise wahrgenommen wird. Wie eher gehört wird, dass sie verzichtet. Und nicht, dass sie so gerne gefahren wäre.

Eigentlich war es ein Bekenntnis zum Rennsport. Aber manche legten es aus, als denke Lara Gut-Behrami an den Rücktritt.


Darin liegt eine gewisse Tragik: dass es noch immer nicht dieses totale Bestreben gibt, die 33-jährige Tessinerin verstehen zu wollen. Auch nicht nach zwei Gesamtweltcup-Siegen; nach acht WM-Medaillen, darunter zweimal Gold; nach drei Olympia-Medaillen, darunter einmal Gold. Und vor allem: 17 Jahre nach ihrem ersten Weltcup-Start, Ende Dezember 2007 in Lienz, Riesenslalom, Startnummer 60, Platz 43 im ersten Lauf. Fünf Wochen und weitere drei Rennen später stand sie erstmals auf dem Podest,


Anfang Februar 2008 in St. Moritz, Abfahrt, Startnummer 32, Platz 3. Kurz vor dem Ziel geriet Gut ins Straucheln, sie stürzte über die Linie, stand auf, lachte und winkte ins Publikum und jubelte doch auch noch, als sie feststellte, dass sie im zweiten Zwischenrang lag.


«Gut Lara (16), unsere neue Ski-Heldin », titelte die Zeitung «Der Sonntag». Und die «NZZ am Sonntag»: «Lara Gut – die neue Figini».


Und auch diese beiden Titel verrieten vieles. 16 Jahre alt, aber schon «Ski-Heldin» – und: «unsere». Und: Michela Figini. «Unsere» letzte «Ski-Heldin» aus dem Tessin, Olympiasiegerin mit 17, Weltmeisterin mit 18. Zurückgetreten 1990 mit 23.





Die übersteigerte Erwartungshaltung

Michaela Figini stammte aus der Generation, zu deren Zeiten die «Skination Schweiz» geboren worden war – und mit diesem Begriff auch das Selbstverständnis eines Landes. Und eine übersteigerte Erwartungshaltung. Seither braucht die Schweiz «Ski-Heldinnen und Skihelden»; wenn sie fehlen, leidet der Stolz einer Nation.


Und die «Skination Schweiz» hatte keine einfachen Zeiten durchlitten, bevor Lara Gut in St. Moritz über die Linie stürzte. Keine einzige Medaille an den WM 2005. Ski-Krise! Keine einzige Frauen-Medaille an den WM 2007. Da kam es wie gerufen, eine neue Heldin ausrufen zu dürfen. Seit der Jahrtausendwende hatten die Schweizerinnen 25 Rennen gewonnen – was womöglich nach viel klingt. Aber diese 25 Siege waren auf acht Fahrerinnen und acht Jahre verteilt gewesen. Lara Gut-Behrami schaffte nach ihrem ersten Sieg im Dezember 2008 bis zum Ende der vergangenen Saison im Alleingang 45 Siege, in vier Disziplinen (Abfahrt, Super-G, Riesenslalom und Kombination)– was womöglich nach viel klingt und in der Tat ein Schweizer Rekord ist. Die Glarnerin Vreni Schneider gewann zwar 55 Weltcup-Rennen, aber «nur» in drei Disziplinen (Riesenslalom, Slalom und Kombination).


Besser oder ein bisschen schlechter als Schneider? Ähnlich wie Figini? Es ist ein Grund-Verhängnis der Skination Schweiz – dieses Bedürfnis nach Vergleichen, nach Reproduktionen von Erfolgen und nach Menschen, die diese Vergleiche und Reproduktionen gewährleisten. Und vielleicht ist es das Schicksal von Lara Gut-Behrami, dass sie kein solcher Mensch sein wollte, sondern bloss eine Skirennfahrerin.


Es gibt gerade auch Sportlerinnen und Sportler, die diese Unterscheidung zwischen Menschen und Athletin weder machen noch verstehen – für Lara Gut-Behrami hingegen ist sie eine zentrale Erkenntnis.


Im Herbst 2017 redete sie erstmals darüber, im Zusammenhang mit ihren Erfahrungen nach dem ersten Gesamtweltcup-Sieg 2016. Sie sagte: «Alle fragten mich nach der Kugel, niemand fragte mich, wie es mir geht. Ich hatte das Gefühl, nur noch ein Objekt zu sein.» Und auch im Frühling 2024, nach dem zweiten Gesamtweltcup, sagte sie im Interview mit SRF, sie sei «in diesem Geschäft langsam erwachsen geworden » – heute sei ihr «bewusst, wie anders man als Spitzensportlerin lebtals als Mensch».


Die schweren Gedanken mit 17

Es sind Formulierungen, die sie mehrmals verwendet, und es sind offensichtlich Gefühle, die sie jahrelang begleiteten. Im Februar 2009 hatte sie mit 17 zweimal WM-Silber gewonnen – noch Jahre später sagte sie zum «Blick», im Frühling 2009 habe sie aufhören wollen mit Skifahren, denn: «Es hatte nichts mehr damit zu tun, was ich vorher gemacht hatte. Ich hatte das Gefühl, ich sei ein Objekt, ich muss links und rechts springen. Ich muss dauernd lachen, niemand war zufrieden mit dem, was ich machte und was ich sagte. Ich hätte immer etwas anderes sagen sollen. Und irgendwann dachte ich: Das habe ich gar nicht gesucht, ich wollte nur Ski fahren.»


Weil Lara Gut-Behrami den Eindruck hatte, nichts sei gut genug, keine Handlung, kein Satz, beschränkte sie auch ihre Medienarbeit. Sie redet seltener öffentlich als Teamkolleginnen, was bei anderen Schweizerinnen und auch bei Fans nicht immer auf Anklang stösst. Sie beanspruche Extrawürste, heisst es gerne, was wiederum die These stützt, dass niemand zufrieden ist mit dem, was Gut-Behrami sagt und macht.


Denn Gut-Behrami ging zwar Wege wie keine andere ihrer Generation, mit einem Privatteam, mit Reibereien mit dem Verband, mit eigener Medienbetreuung – aber im Gegenzug gestaltete niemand ihrer Generation die Karriere ähnlich erfolgreich wie sie. Corinne Suter und Wendy Holdener verbuchen je 5 Weltcup-Siege, Michelle Gisin hat bisher ein Weltcup-Rennen gewonnen.


Andere Kritiker monieren, Lara Gut-Behrami bekomme Recht für ihr Verhalten, wenn über sie geschrieben werde, obwohl sie sich nur spärlich äussere – weil sie damit Medienpräsenz habe, ohne etwas dafür tun zu müssen. Diese Deutungen hinken jedoch, weil sich Lara Gut-Behrami damit eben gerade darauf einlässt, falsch verstanden zu werden – im Gefühl und aus der Erfahrung, dass sie ohnehin etwas anderes hätte sagen sollen, wenn sie sich denn geäussert hätte.





Der prominente Ehemann

Es zählt vielleicht zu der grössten Einsicht und dem mutigsten Schritt ihrer Karriere: Lara Gut-Behrami beschränkt alles Weitere auf einige wenige Auftritte, weil sie schon so oft erklärt hat, wie sie sich selber, das Leben und den Sport sieht – bloss passten ihre Ausführungen nicht allen. Warum denn noch unzählige Male dasselbe sagen, einfach anders? Und gerade sie, die ihr Privatleben mit dem früheren Fussball-Nationalspieler Valon Behrami VIP-mässiger ausschlachten könnte als viele andere, tritt kaum mit ihrem Partner auf. Wohnsitz hat sie in Italien, auf Social Media inszeniert sie sich seit Jahren nicht mehr. Weil sie doch nur Ski fahren wollte, möchte sie sich am liebsten auch nur als Skifahrerin erklären, nicht auch noch als Mensch.


Unsere neue Ski-Heldin. Bei diesem Tag Anfang Februar 2008 liegt so vieles begraben, das nahelegt, warum Lara Gut-Behrami so oft nicht verstanden wird: weil alles so einfach aussah, von allem Anfang an. Dass sie stürzte und doch noch Platz 3 belegte. Dass sie unversehrt aufstand, lachte und winkte. Und wie sie danach die öffentlichen Auftritte meisterte, fröhlich und mehrsprachig, Französisch, Italienisch, Hoch- und Schweizerdeutsch, schlagfertig und aufgeweckt. Mit Blick auf allfällige Festivitäten sagte Gut damals, Alkohol trinke sie keinen, sie werde sich eine Cola gönnen – ehe sie rief, eingedenk eines wichtigen Verbandssponsors: «Nein, natürlich trinke ich Rivella.»


 Und wenn sie etwas tat, mit dem sie den Eindruck erweckte, sie suche eben doch die grosse Bühne abseits der Piste oder zumindest die grosse Leinwand, wenn sie beispielsweise in einem Spielfilm mitmachte, wie bei «Tutti Giù» im Jahr 2012, wenn sie scheinbar mehr sein wollte als eine Skifahrerin – dann spielte sie: eine Skifahrerin.

 

Die überragende Fahrerin

Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass ihr etwas schwerfallen würde, und vielleicht liegt darin ein Verhängnis dieser kompletten Karriere: dass alles so viel leichter schien, als es war. Nicht nur die Medienauftritte, bei denen Lara Gut-Behrami dank ihren Gedanken und ihrer Vielsprachigkeit so wirkt, als sei sie geschaffen dafür. Nein, da ist vor allem noch das Skifahren an sich, das Lara Gut-Behrami gerade in den Speed-Disziplinen mit ihrer Technik und ihrem Stil so geschmeidig und spielerisch wirken lässt – und darum geht es doch.


Und auch die Fortschritte als Skirennfahrerin schienen ihr immer wieder leichtzufallen, am Anfang der Karriere, aber auch nach Verletzungen und Rückschlägen. Stets kehrte sie zurück, keine andere Athletin hat es geschafft, in der Saison 2007/08 auf einem Weltcup-Podest zu stehen und auch im Winter 2023/24 wieder.


Doch was sagte sie im März 2024 auch noch: Sie habe bisher nicht den Weg gefunden, den Spitzensport entspannt anzugehen. Was für eine Aussage nach anderthalb Jahrzehnten Spitzensport, nach so vielen Momenten scheinbarer Leichtigkeit, nach so vielen Momenten des Gefühls aber auch, dass sie nach links und rechts hätte springen und etwas anderes sagen sollen. Und – typisch – genau diese Aussage dürften manche nicht gehört haben oder nicht geglaubt.


«Sind es Schmerzen, oder ist es einfach das Vertrauen, das fehlt?», wollte der SRF-Reporter von Gut-Behrami wissen, als sie Ende Oktober 2024 auf den Start in Sölden verzichtete. Und wenn Leute in diesem Startverzicht mehr sahen, etwas Grösseres, Rücktrittsgedanken – so durfte auch in der Frage etwas Grösseres gesehen werden: das Vertrauen, das fehlt. Irgendwie fehlte von Anfang an auch das Vertrauen der Schweizer Öffentlichkeit, dass mit Lara Gut eine Athletin gekommen war, die der Skination schon Erfolge bescheren würde – bloss nicht nach einem bekannten «Ski-Heldin»-Schema und nicht mit der Bereitschaft, sich vereinnahmen zu lassen.





Die Freiheiten und die Ruhe

Swiss-Ski, der Landesverband, mit dem sie früher den einen oder anderen Konflikt austrug, verstand es früher oder später. Swiss-Ski merkte, dass Lara Gut-Behrami als Teenager gekommen und erwachsen geworden war. Der Verband gab ihr Freiheiten und bekam im Gegenzug Erfolg und Ruhe. Als Lara Gut-Behrami im vergangenen März ausgerechnet am Saison-Finale merkte, dass sie ihren Trainer Alejo Hervas an das Schweizer Männerteam verlieren würde, wäre es für sie ein Leichtes gewesen, die Situation eskalieren zu lassen – doch sie schlachtete den Verrat nicht öffentlich aus.


Gewiss, es gibt bis heute diese Augenblicke und diese Themen, in denen Lara Gut-Behrami fordernder ist als andere und sich etwas herausnimmt. Aber wenn es wieder einmal so weit ist, führen sich die Leute im Verband einerseits vor Augen, was sie alles schon erreicht und geliefert hat. Und andererseits: dass diese Zeit, die eine Ära geworden ist, alsbald zu Ende sein wird; und dass es sie noch zu geniessen gilt. Es wird der Schluss einer einmaligen Geschichte sein.


Wann? Darum geht es nicht. Vielmehr darum: Es ist nie zu spät, Lara Gut-Behrami so zu nehmen, wie sie ist.

Und zu verstehen, warum es manchmal so schwer scheint, Lara Gut-Behrami zu verstehen. Weil die Skination so sehr nach einer neuen Ski-Heldin lechzte, dass sie nicht bereit war für eine Skirennfahrerin, die einfach Skirennfahrerin sein wollte.


Benjamin Steffen schrieb bis Anfang 2024 viele Jahre für die NZZ über Ski alpin. Er war ab 2009 an allen Weltmeisterschaften dabei, an denen Lara Gut-Behrami Silber oder Bronze gewann – und er war nicht dabei, als sie sich 2021 erstmals Gold sicherte. Auch an den eltmeisterschaften 2025 wird er nicht dabei sein – Gold für Gut-Behrami?

 

 





Commentaires


bottom of page